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Westaustralien - Newman, Ost Pilbara (Januar 2020)

Writer's picture: Sven ReicheltSven Reichelt

Newman. Ich möchte es wirklich lieben, aber irgendwas stimmt hier nicht.

Es ist eine grüne Oase inmitten einiger der ältesten Felsformationen auf Erden. Für mich ist es genau das, was das Outback ausmacht: schroffe Hügel, dazwischen Salzpfannen und Gibberebenen, Spinifexgras und Krüppelakazien. Und ein endloser Himmel, der jeden Abend von der untergehenden Sonne in Brand gesetzt wird. Genau das, was ich wollte.



Die 7,000 Menschen grosse Stadt sitzt am Ostrand des Ophtalmia Gebirges. Auf drei Seiten von Bergen umgeben, öffnet sie sich Richtung Great Sandy Desert. Jede Menge spektakuläre Vistas. Besonders, wenn man Zugriff auf ein Allradfahrzeug hat, ein Muss, wenn man diesen Aufregenden Teil der Welt entdecken will.



Seltener Regen heisst uns im Revier willkommen. Der Fortescue Fluss führt Wasser. Der stromab gelegene Stausee läuft über und ist sorgt für schöne Camping-, Schwimm- und Paddelstopps.



Es ist der erste Morgen nach unserer Ankunft von Perth. Ich erforsche mit dem Hund die nähere Umgebung, den Golfplatz bis hinauf zu den Wassertanks. Erstaunlich, wie gross der Ort ist, trotz enger Strassen und kleiner Grundstücke. Die offene Mt. Whaleback Mine, direkt hinter mir, die hat natürlich nochmal ganz andere Ausmasse, aber dazu später mehr.

Den Rest des Morgens verbringen wir mit einkaufen und Wohnung einrichten. Zur Pause rauf zur Radio Hill Aussichtsplattform fürs Panorama. Die Stadt ist eine üppige, grüne Oase voll exotischer Düfte. Wow!



Den Nachmittag verbringen wir im Stadtbad, mitten im Ort. Es ist nur ein Paar hundert Meter von dem neuen Arbeitsplatz und unserer Bleibe. Ich kann mein Glück kaum fassen als ich allein meine Bahnen ziehe. Eine Melange von Teebaum- und Zitronenparfum weht träge vom nahen Park herüber.

In Newman ist alles nur einen Steinwurf entfernt. Oder maximal 30 Minuten Fußmarsch. Nach der langen Reise quer durch den Kontinent hat sich unser Auto einen Urlaub verdient, während wir auf Schusters Rappen erkunden gehen. Spazieren gehen ist super, aber Fliegennetze sind ein absolutes Muss. Nerviges Kroppzeug! Zugegebenermassen schmecken sie nicht so übel. Aber man weiss halt nie, wo sie sich zuvor rumgetrieben haben. Oder schlimmer noch : Sie kriechen einem in die Ohren kriechen und machen Rabatz machen, weil sie alleine nicht mehr herausfinden.



Nach einem 38 Grad heissen Tag, kommt der Hund erst nachts nochmal zum Lüften raus. Der Teer ist immer noch siedend heiss. Unerträglich. Wir finden einen kühleren Pfad durch nahegelegene Hügel und Buschland. Es ist nett. Man vergisst fast, dass der Ort immer noch in Rufweite ist. Während die Sonne taucht, versinkt die östliche Ebene in ein tintenblaues Meer. Die Lichter von Jimblebar und Eastern Ridge verstärken das Maritime. Sie sind Inseln. Die Scheinwerfer von Heimkehrenden hüpfen wie Motorboote über die Wellen. Mit etwas Fantasie lachen sogar die Möwen.



Die Stadt hat ein nettes Zentrum. Was einmal Plattenbauten für Minenarbeiter beherbergte ist heute ein moderner Park mit Rasen, Bäumen, schattigen Wegen und einer Bühne für Veranstaltungen und die monatlichen Filmnächte. Gegenüber ist das architektonisch beeindruckende Parnawarri Einkaufszentrum. Gemeinsam mit der Gallerie von East Pilbara und dem neuen Punktukurnu Medizinzentrum und dem wirklich gelungenen Kirripirna Park gibt es den Ton dieser Stadt an, die gerne modern sein möchte. In der Stadt sind viele Statuen und Wandmalereien verteilt. Es lohnt schon allein deshalb auf Entdeckungstour zu gehen. Die Grünanlagen und Sportplätze sind bemerkenswert und abends voll mit bolzenden, halb nackten Rugbyfans.



Was fehlt ist ein gutes Café. Dôme Newman, unser neuer Wirkungskreis, hat einen schlechten Ruf: schmutzig, unfreundlich, langsam, Essen und Trinken von fragwürdiger Qualität. Schade, denn im Grunde ist mit dem Cafe nichts falsch. Aber das bekommen wir wieder hin. Tag eins und wir machen uns an die Fenster. Fenster sind die Augen jedes Geschäfts und diese hier haben seit drei Monaten keine anständige Pflege erhalten. So dicht am Erztagebau ist die Luft schwer mit Staub. Er setzt sich überall ab. Und ist irgendwie schmierig. Simples Fensterwaschen reicht da nicht. Die Reinigungstücher kommen in den Müll bevor es and die nächste Sitzung geht. Neugierige Beobachter laden mich ein, dasselbe bei Ihnen zuhause zu machen. Ich glaube nicht, dass die sich mich leisten können.

Ein Jahr später und Dôme Newman ist endlich, was es sein soll, das gesellschaftliche Herz der Stadt, wo man Freunde trifft, Geschäfte abschliesst, tiefe Gespräche führt oder mit einer Tasse Kaffee und einem Buch entspannt und was Anständiges zu essen bekommt



Ein Jahr später und Dôme Newman ist endlich, was es sein soll, das gesellschaftliche Herz der Stadt, wo man Freunde trifft, Geschäfte abschliesst, tiefe Gespräche führt oder mit einer Tasse Kaffee und einem Buch entspannt und was Anständiges zu essen bekommt.

Der Ort braucht immer noch ein zweites Café oder eine Bäckerei. Wäre es nicht schön, selber auch mal ausgehen zu können? Ohne permanent als Boss auf dem Präsentierteller zu sitzen?

Das Stadtvolk von Neumann ist unglaublich nett. Nach gerunzelten Augenbrauen starten wir Gespräche mit Besuchern und Gästen, und später sogar mit Anwohnern. Um nicht zu versauern bin ich bin der Industrie- und Handelskammer beigetreten und dem Buchclub der sich monatlich in der Bibliothek trifft. Es gibt wie überall rechthaberische Leute, aber wenn man sie näher kennenlernt, sind sie sehr interessant. Besonders auch, weil die Population so international ist: Balinesen, Kiwis, Filipinos, Deutsche, Franzosen, Südamerikaner, Chinesen, Thailänder, Afrikaner und sogar ein paar Australier. Von den Leuten, die den Ort vor über 50 Jahren gegründet haben leben nur noch wenige hier. Wenn man es über das verflixte siebte Jahr hinaus schafft, wird man merkwürdig angeschaut. Die Anwohner sind hier um Geld zu verdienen. Je schneller, desto besser. And dann haut man wieder ab. Im Schnitt ist man hier zwischen 20 und 55 Jahre alt. „Granddad“ ist mit seinen 70 Jahren die Ausnahme und fast schon ein Promi. Kein Wunder, dass der örtliche Friedhof so klein ist. Niemand bleibt lange genug um dort Einzug zu halten. Bestattungsungternehmer gehen hier vor die Hunde.

Was also macht Newman so merkwürdig?

Genug Hundefutter: Olli findet immer Knochen am Wegrand. Ich wundere mich, wer es schafft, so viele Huehnerbeine zu verlieren! An jeder Ecke mindestens zwei. Gibt es hier lepröses Federvieh? Wollte man es sich einfach machen, muesste man seinem Hund ab und an nur noch etwas Guenzeug zukommen lassen. Von wegen ausgewogener Diät. Im Gegensatz zu Hähnchen gibt hier kaum leprakrankes Gemuese…




Genug Müll: Newman wurde einst als Kandidat für den Titel „Saubere Stadt“ nominiert. Und von da an gingt es den Berg runter. Von Hühnerbeinchen abgesehen gibt es auch eine Menge anderen Unrat. Brave Bewohner sammeln Müll, und ne Woche später sieht es wieder genauso dreckig aus. Tatsächlich gibt es hier Leute, die der Überzeugung sind, dass es der Müll ist, der die Mitbewohner in Lohn und Brot hält…

Herzlich Willkommen: Neuzuwanderer erhalten von der Stadtverwaltung ein ganz besonderes Einzugsgeschenk. Mückenschutzmittel und eine Liste professioneller Schlangenfänger. Von letzteren gibt es hier eine ganze Menge. Übertrumpft nur von der Anzahl derer, die hier Müll einsammeln. Und von Mücken, natürlich. Vertrauenserweckend.

Willkommen, Touristen: Das örtliche Informationszentrum ist sehr bemüht. Der Mutige fragt nach einer Karte mit Sehenswürdigkeiten der Umgebung. Selbst den zugemüllten. Die Chance, dass man sie findet ist nicht besonders gross. Wegbeschreibungen sind veraltet, Strassen und Wegmarker existieren nicht mehr. Es ist abenteuerlich, sich trotzdem auf den Weg machen, denn viele der Sights sind wirklich wunderschön. Es gibt natürlich auch Touristen, die auf Nimmerwiedersehen verschwinden. Überall verlassene Fahrzeuge. Benzin ausgegangen. Kein Wasser, Kein Proviant. Und keine Nerven. Nichts!



Wie man sich bettet: Hotelzimmer sind rar. Der private Wohnungsmarkt ist, ebenso wie die Containerwohnungen der Caravan Parks, fast exklusiv und teuer an die Mienen und ihre Arbeiter vermietet. Verlässliche Einnahmequelle. Für Besucher bleibt da nichts übrig. Selbst, wenn diese planen in der Stadt zu investieren und weitere Unternehmen zu aufzubauen. Wer keinen Wohnraum hat kann auch keine Angestellten unterbringen. Die Stadt, die wirklich wachsen könnte, stagniert.



Haus-Jackpot: Wer in der Minenindustrie arbeitet

A. verdient viel Geld - unverschämt viel Geld!

B. wohnt unentgeltlich oder zumindest zu sehr günstigen Bedingungen*.

C. braucht sich um seine Wohnung nicht zu kümmern. Reinigung, Garten- und Poolpflege sind gratis.

D. erhält kostenlos Essen, wenn er in einem der Containercamps lebt. Buffet morgens, mittag uns abends.

Entsprechend lebt es sich. Sorglos. Nach uns die Sintflut! Die Anzahl an benzinschluckenden SUV’s in Newman ist beeindruckend. Wohnwagen und Wohnanhänger in jeder Einfahrt. Und Motorräder. Und Yachten. Hab ich erwähnt, dass es bis zum nächsten Strand viereinhalb Stunden Fahrt sind?

Diese Lebensweise färbt die Weltsicht und erzeugt eine merkwürdige Anspruchshaltung. Zugegeben, es wird viel gearbeitet. Drei Wochen am Stück. Zwölf Stunden. Tag und Nacht. Und dazwischen raucht und säuft man. Ist die Familie nicht mitgezogen, sie sieht man alle drei Wochen für eine Woche. Die Firmen zahlen den Heimaturlaub. Und man selber den Preis für den Raubbau an Körper, Geist und mentaler Gesundheit.

Einmal im Jahr organisiert BHP Billiton eine gewaltige Weihnachtsparty für seine Angestellten und ihre Familien, die sämtliche Events der Region zusammengenommen in den Schatten stellt.

*) Merkwürdigerweise gilt dieses auch für Einwohner der niedrigsten sozialen Stufe. Nur ohne teure Spielzeuge, Parties und Servicepersonal, dass einem jeden Wunsch von den Lippen liest. Wer Sozialhilfe erhält, kann sich nicht mal mehr aussuchen, wofür er seine spärliche Knete ausgibt. Die bargeldlose Kreditkarte ist gesperrt fuer Alkohol und Zigaretten.

Serviceparadies: Davon abgesehen, gibt es in dieser Stadt auch nicht einige, die ganz normale Jobs leisten, die sich einen Wolf arbeiten, und irgendwie trotzdem auf keinen grünen Zweig kommen. Wenn die Mieten schon teuer sind, der Rest der Lebenshaltungskosten sind es nicht weniger. Der Grund, warum es hier keiner lange aushält. Und vermutlich auch der Grund, warum die Serviceeinstellung der wenigen langfristigen Insassen (den Ausdruck habe hier ich bewusst gewählt) eher fragwürdig ist. Genauso wie ihre Palette and Produkten und Dienstleistungen. Neben mittlerweile zwei Cafés, gibt es genug Takeaways, die sich auf Frittiertes spezialisiert haben, erstaunlich viele Tankstellen (mit noch mehr Fast-food) , zwei Supermärkte von denen der eine auf Geldwaschen spezialisiert ist, einen unterbelichteten Baumarkt, und einen traurigen Möbelladen. Keine Klamotten, Schuhe, nicht mal einen der legendären Australischen Oppis / Secondhand Läden. Kein Kino, keine Waschstrasse. Spielzeugladen? Kreativshop? Schlachter? Bäkerei? Wozu auch.

Aber wenn man diese kleinen Unzulänglichkeiten ausblendet, kann man es sich hier wirklich gut gehen lassen!





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